Otto Friedrich Meyer-Amden,
20.2.1885 Bern, ? 15.1.1933 Zürich.

Maler und Zeichner.

Otto Meyer wurde als jüngstes von sechs Kindern des Hufschmieds Karl Felix Meyer geboren. Durch den frühen Tod der Mutter (1888) kam Otto zu Pflegeeltern. 1893-1900 als Halbwaise im Burgerlichen Waisenhaus in Bern. Nachhaltige Eindrücke, die in den Hauptthemen seiner späteren Schulbilder wiederkehren. 1901-03 Steindruckerlehre. Erste Aquarelle in symbolistischem Stil. Vorbilder waren Böcklin und Puvis de Chavannes. 1903-06 Weiterbildung in der Lithographischen Werkstätte Graf in Zürich. Besuch der dortigen Kunstgewerbeschule. Seine Lehrer waren Eduard Stiefel und Albert Freytag, seine Mitschüler Paul Bodmer, Hermann Huber, Reinhold Kündig, Hans Vollenweider, Eugen Zeller, Carl Böckli und Otto Baumberger. 1905 Beginn eines lebenslangen Briefwechsels mit Hermann Huber. 1906 ein halbes Jahr in der Klasse von Peter Halm an der Kunstakademie in München. 1907 Reise nach Paris, wo er die ägyptische und griechische Plastik entdeckte; «ahnungsvolle Eindrücke» von Cézanne. Im Herbst Übersiedlung nach Stuttgart, Aufnahme in die Malklasse von Christian Landenberger an der Stuttgarter Akademie, der ihm nach Meinungsdifferenzen den Übertritt in die Kompositionsklasse von Adolf Hölzel ermöglichte. 1911 entstand das Gärtnerbild. Mit Oskar Schlemmer zusammen Wandbild Verkündigung für die Ausstellung Kirchliche Kunst Schwabens in Stuttgart. 1912 reiste er auf Einladung von Willi Baumeister und Hermann Huber nach Amden, wo sich für kurze Zeit eine Kolonie von Stuttgarter und Zürcher Freunden bildete. Beginn des Briefwechsels mit Oskar Schlemmer, der bis zum Tode von Otto Meyer fortdauerte. 1913 erste Ausstellung im Kunstsalon am Neckartor in Stuttgart (mit Juan Gris, André Lhote, Auguste Herbin und Oskar Kokoschka). Otto Meyer blieb Ende 1913 allein in Amden zurück. Auseinandersetzung mit Balzacs Swedenborg-Erzählungen und mit dem von Waldemar Deonna herausgegebenen Buch Les Apollons archaïques. Regelmässige Besuche der Zürcher und Stuttgarter Freunde. Ab 1913 entstand die Reihe der dunkeltonigen Grafitzeichnungen. 1917-19 Farbstiftzeichnungen der Weberfamilie und Beginn der grossen Folge der Schulbilder. 1923 Auftrag durch die Architekten Adolf und Heinrich Bräm für ein grosses Rund-Glasfenster für das Zwingli-Kirchgemeindehaus in Zürich-Wiedikon. Es blieb Otto Meyers einziges öffentliches Auftragswerk. 1924 grösste Ausstellungen zu Lebzeiten im Kunsthaus Zürich und in der Kunsthalle Basel, darunter auch eine kleinere Zahl von Knabenakten, die zu einer Diffamierungskampagne gegen den Auftrag für ein Kirchenfenster in Rüschlikon führten. Von 1928-1932 Lehrer für Gerätezeichnen an der Kunstgewerbeschule Zürich. Engere Beziehungen zu Otto Kappeler und Ernst Gubler. Ein Kropfleiden zwang ihn, den Unterricht im Sommer 1932 aufzugeben. Aufenthalt bei seinem Halbbruder Paul in Laupen. Letzte Monate bei Hermann Huber auf der Au. Oskar Schlemmer organisierte die Gedächtnisausstellung, welche 1934 im Kunsthaus Zürich und in den Kunsthallen Basel und Bern gezeigt wurde und publizierte als einmaliges Dokument einer Freundschaftsbeziehung die Gedächtnisschrift Otto Meyer-Amden - Aus Leben, Werk und Briefen.

Werkwürdigung:
Otto Meyer bleibt eine geheimnisumwobene Persönlichkeit. Er war Aussenseiter, aber zugleich Mittelpunkt eines Kreises von Künstlern, auf deren Denken und deren Kunst er eine starke Wirkung ausübte. Dieser Kreis reicht von Künstlern, die wie Oskar Schlemmer und Willi Baumeister für die Kunst des 20. Jahrhunderts von erstrangiger Bedeutung sind, bis zu einer Reihe weniger bekannter deutscher und schweizerischer Maler und Zeichner. Die Bekanntschaft mit Oskar Schlemmer an der Stuttgarter Akademie und die zwei Jahrzehnte dauernde Brieffreundschaft ist ein einmaliger Glücksfall. Otto Meyer war durch die Briefe Schlemmers von Anfang an Zeuge der Entstehung des Bauhauses, und Schlemmer trug Ideen seines Freundes in diesen Kristallisationspunkt der 20er Jahre hinein und vermittelte Meyer andererseits die dort diskutierten Probleme und Fragen nach dem abgelegenen Amden. Wer sich in den Briefzeugnissen mit der Gedankenwelt des nur spärlich erhaltenen Frühwerks auseinandersetzt, vermag zu erkennen, dass Meyer aufgrund seiner eigenen Wege in die Abstraktion von den Künstlerfreunden als «Vorwegnehmender», als fast lautloser Avantgardist gesehen wurde. Dies gilt insbesondere auch für die damals unverstandenen Entwürfe anlässlich des Wettbewerbs für die Universität Zürich mit Figuren zur Auferstehung der Seele. Otto Meyers künstlerische Vision ist anfänglich stark verbunden mit dem noch im Symbolismus wurzelnden Gedanken einer religiösen Erneuerung durch die Kunst. Seine Suche nach einem neuen Menschenbild stand im Spannungsfeld zwischen Naturalismus und ungegenständlicher Malerei, zwischen Leibl und Mondrian, die für ihn während Jahren leitbildhafte Bezugspunkte gewesen sind. Ohne «Ausseroptisches», das heisst ohne die Absicht einer starken Idee, meinte Otto Meyer, sei es nicht möglich, zur «Bildform» zu gelangen, die dem «Kosmos und dem Viereck» gerecht werde. Die Thematik der Gruppenbilder Im Münster, Ess-Saal und Impfung, welche Erinnerungen aus Otto Meyers Internatszeit aufnehmen, dominiert sein Schaffen während zehn Jahren. Es ist die Erwartung, Andacht, Vorbereitung einer Gemeinde Jugendlicher auf eine (kommende) geistige Erleuchtung. In Hunderten von Bleistift- und Farbstiftskizzen, -studien und kleinformatigen -kompositionen wird die Bildreihe in ausserordentlicher Intensität fortentwickelt. Ernst Ludwig Kirchner schrieb nach Meyers Tod 1934: «Die grosse Liebe zu den Dingen und zur Kunst spricht aus jedem Strich». Und zum Qualitätsanspruch meinte Schlemmer: «Er wies mit Eindringlichkeit darauf hin, wie vieles heute aus Übereinkunft geschähe, ohne sich immer der ursprünglichen Gründe bewusst zu sein, die ehedem Antrieb zur künstlerischen Betätigung bildeten.» Die Wirkung Otto Meyers ist nachvollziehbar in den Tagebuchblättern und Briefen Oskar Schlemmers, in Bauhaus-Schriften Schlemmers und unter anderem auch in seinem Bauhaus-Signet von 1922, das auf eine frühe Bildidee Otto Meyers zurückgeht. Sie ist auch in Schlemmers Spätwerk erkennbar, der in seinem Tagebuch 1936 bekannte, dass er niemanden mehr habe, dem er «das Geheimste im Künstlerischen und Menschlichen darlegen könnte mit der Gewissheit der richtigen Aufnahme und Antwort dazu». Über den Tod der Malerfreunde hinaus hat das Werk zahlreiche Kunsthistoriker beschäftigt. Reinhold Hohl hat sich mit Verweis auf den Begriff der Goetheschen «Originalnatur», die Otto Meyer aus der Lektüre von Wilhelm Meister kannte, vertieft mit den über zweihundert Knabenbildern auseinandergesetzt, die Jean-Christophe Ammann 1979 in einer Ausstellung in der Kunsthalle Basel in den Mittelpunkt der Betrachtung rückte. Zum hundertsten Geburtstag machte das Kunstmuseum Bern die «Begegnung» im Werk und in den Freundschaftsbeziehungen zum Thema einer grossen Ausstellung, die auch in der Kunsthalle Tübingen sowie im Centre Culturel Suisse in Paris gezeigt wurde. Otto Meyers Schaffen wirkte nicht nur in einer Reihe von Lehrern an der Zürcher Schule für Gestaltung weiter, sein Einfluss ist auch bei zahlreichen Schweizer Zeichnern, unter anderen bei André Thomkins, Rolf Winnewisser und Heiner Kielholz erkennbar.

Werkhinweis:
Aargauer Kunsthaus Aarau; Öffentliche Kunstsammlung Basel, Kunstmuseum; Kunstmuseum Bern; Staatsgalerie Stuttgart; Zürich, Graphische Sammlung der ETH; Kunsthaus Zürich; Erwartung, Glasfenster, 1925, Zürich-Wiedikon, Zwingli-Kirchgemeindehaus.

Literatur:
* Aus Willi Baumeisters Tagebüchern. Erinnerungen an Otto Meyer-Amden, Adolf Hölzel, Paul Klee, Karl Konrad Düssel und Oskar Schlemmer. Hrsg.: Wolfgang Kermer. Ostfildern-Ruit: Cantz, 1996 (Beiträge zur Geschichte der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart 8) * Willy Rotzler: Aus dem Tag in die Zeit. Texte zur modernen Kunst. Postskriptum: Stanislaus von Moos. Zürich: Offizin, 1994 * Visionäre Schweiz. Kunsthaus Zürich; Düsseldorf, Städtische Kunsthalle und Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, 1991-92. Hrsg.: Harald Szeemann; Texte: Theo Kneubühler, Roman Kurzmeyer, Aurel Schmidt, Harald Szeemann, Michel Thévoz. Aarau, Frankfurt am Main, Salzburg: Sauerländer, 1991 * Erika Billeter: Schweizer Malerei. Hundert Meisterwerke aus Schweizer Museen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert. Bern: Benteli, 1990 * Oskar Bätschmann: Malerei der Neuzeit. La peinture de l'époque moderne. La pittura dell'età moderna. La pictura da l'epoca moderna. [Deutsche, französische, italienische und romanische Parallelausgaben]. Disentis: Desertina, 1989 [italienische Ausgabe: 1990] (Ars Helvetica VI) * Museum zu Allerheiligen Schaffhausen. Katalog der Gemälde und Skulpturen. [Texte:] Felix Schwank, Max Freivogel, Tina Grütter [et al.]. Schaffhausen, 1989 (Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft. Kataloge Schweizer Museen und Sammlungen 13) * Der Bund fördert, der Bund sammelt. 100 Jahre Kunstförderung des Bundes. Aargauer Kunsthaus Aarau, 1988. [Texte:] Hans Ulrich Jost, Lisbeth Marfurt-Elmiger, Oskar Bätschmann, Marguerite und Cäsar Menz-Vonder Mühll, Hans A. Lüthy, Myriam Poiatti, Matthias Vogel, Jörg Huber, Maddalena Disch, Willy Rotzler, Isabelle Aeby, Johann Gfeller, Hans Ulr. Aarau: Lars Müller, 1988 * Der sanfte Trug des Berner Milieus. Künstler und Emigranten 1910-1920. Kunstmuseum Bern, 1988. Hrsg.: Josef Helfenstein, Hans Christoph von Tavel. Bern, 1988 * Andreas Meier [et al.]: «Die Zeichenklasse Otto Meyer-Amden». In: Du, 1986, 1, S. 2-49 * Rolf Dürst: Otto Kappeler im Zürcher Meyer-Amden Kreis. Spuren einer noch unerforschten Begegnung. Zürich: Orell Füssli, 1985 * Otto Meyer-Amden. Begegnungen mit Oskar Schlemmer, Willi Baumeister, Hermann Huber und anderen Künstlern. Kunstmuseum Bern, 1985-86; Kunsthalle Tübingen; Paris, Centre culturel suisse, 1986. Ausstellung: Hans Christoph von Tavel, Andreas Meier. Bern: Benteli, 1985 * Meisterwerke aus der Graphischen Sammlung. Zeichnungen, Aquarelle, Pastelle, Collagen aus fünf Jahrhunderten. Kunsthaus Zürich, 1984. Katalog: Ursula Perucchi-Petri. Zürich, 1984 * Marcel Baumgartner: L'Art pour l'Aare. Bernische Kunst im 20. Jahrhundert. L'Art bernois au XXe siècle. [Deutsche und französische Parallelausgaben]. Wabern: Büchler, 1984 * Dreissiger Jahre Schweiz. 1936 - Eine Konfrontation. Aargauer Kunsthaus Aarau, 1981. [Texte:] Heiny Widmer [et al.]. Aarau, 1981 * Otto Meyer-Amden. Kunsthalle Basel, 1979. [Text:] Reinhold Hohl. Basel, 1979 * Tatort Bern. Museum Bochum, Kunstsammlung, 1976. Katalog: Urs Dickerhof, Bernhard Giger. Bochum, 1976 * Max Huggler, Dagmar Hnikova: «Otto Meyer-Amden im Kunsthaus Zürich». In: Neujahrsblatt der Zürcher Kunstgesellschaft, 1974. Zürich: Kunsthaus, 1974 (Sammlungsheft 4) * Michael Stettler: Otto Meyer-Amden. Zürich: Ex Libris; Lausanne: Editions Rencontre, 1970 * Carlo Huber: Otto Meyer-Amden. Wabern: Büchler, 1968 * Robert Hess: Neue kirchliche Kunst in der Schweiz. Kleiner Wegweiser zu den wichtigeren Werken. Zürich: NZN Buchverlag, 1962 * Gotthard Jedlicka: Zur schweizerischen Malerei der Gegenwart. Erlenbach-Zürich: Eugen Rentsch, 1947 * Werke öffentlicher Kunst in Zürich. Neue Wandmalerei und Plastik. Einleitung und Anhang: Erwin Jaeckle; Bildteil: Martin Hürlimann. Zürich: Atlantis, 1939 * Oskar Schlemmer: Otto Meyer-Amden. Aus Leben, Werk und Briefen. Zürich: Johannespresse, 1934 * Oskar Schlemmer: «Analyse eines Bildes und andere Dinge». In: Bauhaus, Okt.-Dez. 1929, 4 Lexika: Bénézit, Dictionary of Art, KLS, Vollmer

Schlagwörter:
Malerei, Zeichnung

Quellen:
Laupen, Senta Meyer, Nachlass (Werke und Briefe); Zürich, Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Briefwechsel Otto Meyer-Amden - Hermann Huber (HNA 29); Stuttgart, Staatsgalerie, Briefe Otto Meyers an Oskar Schlemmer;  Kunsthaus Zürich, umfassendstes Werkverzeichnis, entstanden für die Gedächtnisausstellung von 1934; Kunstmuseum Bern, Materialen zur Ausstellung Otto Meyer-Amden - Begegnungen

Andreas Meier

Bénézit Dictionnaire critique et documentaire des peintres, sculpteurs, dessinateurs et graveurs de tous les temps et de tous les pays. Par un groupe d'ecrivains spécialistes français et étrangers. Nouvelle édition entièrement refondue, revue et corrigée sous la direction des héritiers de Emmanuel Bénézit. Paris: Gründ, 1976. 10 volumes. [Editions précédentes: 1911-1924; 1948-1955] Dictionary of Art The Dictionary of Art. Edited by Jane Turner. London: Macmillan; New York: Grove, 1996. 34 volumes KLS Künstlerlexikon der Schweiz. XX. Jahrhundert. Redaktion: Eduard Plüss, Hans Christoph von Tavel; Verein zur Herausgabe des schweizerischen Künstler-Lexikons. Frauenfeld: Huber, 1958-1967. 2 Bände Vollmer Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts. Unter Mitwirkung von Fachgelehrten des In- und Auslandes bearbeitet, redigiert und herausgegeben von Hans Vollmer. Leipzig: Seemann, 1953-1962. 6 Bände


 

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updated 31.01.23