Hans Erni 1944
mit dem kleinen Vincenzo Altepost.
Hans Johann Erni
*21.2.1909 Luzern. - † 28.3.2015
Maler, Zeichner und
Grafiker. Illustration, Plakat, Wandbild, Plastik, Relief, Keramik und
Tapisserie.
Hans Erni wird als
eines von acht Kindern eines Schiffsmaschinisten in Luzern geboren. Nach
Lehren als Vermessungstechniker und Bauzeichner 1927–28 Besuch der
Kunstgewerbeschule Luzern. 1928–29 Aufenthalte in Paris, Académie Julian.
1929–1930 Berlin. 1930–34 abwechselnd in Luzern und Paris, Mitglied der
Gruppe Abstraction-Création. 1935 gemeinsam mit dem marxistischen
Philosophen Konrad Farner Gestaltung der Ausstellung These – Antithese
– Synthese im Kunstmuseum Luzern. 1937 Mitbegründer der
Künstlervereinigung Allianz. 1937–38 Aufenthalt in London. 1939 gestaltet
er Die Schweiz, das Ferienland der Völker, ein 100 m langes
zwölfteiliges Wandbild für die Schweizerische Landesausstellung in
Zürich (heute Zürich, Schweizerisches Landesmuseum); aufgrund eines
Wettbewerbes erhält er den Auftrag für eine Banknotenserie, der auf
politische Intervention hin von der Nationalbank 1944 abgebrochen wird.
Nach einer Zeit der
politischen Ächtung tragen zahlreiche lokale, nationale und internationale
Aufträge in den verschiedensten Medien (Wandbild, Plastik,
Buchillustration, Plakat, Briefmarken, Bühnenbild und Kostüm) zu einer
weit gefächerten Präsenz und einer grossen Beliebtheit in der breiten
Öffentlichkeit bei. Mehrere Reisen nach Afrika, in den Nahen Osten, nach
Indien, China und Japan erweitern die europaweiten und amerikanischen
Kontakte sowie die internationale Wertschätzung. 1969–1976 Mitglied der
Eidgenössischen Kunstkommission. 1977 Gründung der Hans Erni-Stiftung und
1979 Eröffnung des Hans Erni-Museums im Verkehrshaus der Schweiz in
Luzern. Zahlreiche Einzelausstellungen im In- und Ausland sowie
umfangreiche Retrospektiven: 1944 Kunstmuseum Luzern; 1961 und 1965 Musée
de l'Athénée, Genf; 1966 Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen; 1972
Kunstmuseum Luzern; 1976 Seedamm-Kulturzentrum, Pfäffikon (SZ);
Auszeichnungen und öffentliche Ehrungen (unter anderem 1968 Kunstpreis der
Stadt Luzern; 1983 UNO-Friedensmedaille; 1984 Ehrennadel der Stadt
Luzern).
Werkwürdigung:
Zeichnerisch ähnlich
begabt und in den verschiedensten Medien versiert wie der von ihm bis
heute verehrte Picasso, fand Erni trotz vielfältiger Kontakte zu
Vertretern der Avantgarde und stilsicheren Anfängen in kubistischer,
surrealistischer und abstrakt-konkreter Formensprache bereits in den 30er
Jahren seinen eigenen Weg: In einer Synthese von Figuration und
Abstraktion entwickelte er in illustrativen Konturgeflechten vor
raumlos-abstrakten Farbgründen seinen unverwechselbaren und bis heute
beibehaltenen Stil. Intellektuell stark beeinflusst und publizistisch
gefördert vom undogmatischen Marxismus Konrad Farners, versteht er seine
Kunst (auch über die spätere ideologische Entfremdung von seinem Mentor
hinaus) und seine handwerkliche Meisterschaft bis heute stets als Mittel
zum höheren Zweck humanistischer Welterkenntnis; selbstreflexive
Formexperimente sind ihm ebenso fremd wie die Zurschaustellung privater
Welten. Als Autodidakt tief beeindruckt von den geistesgeschichtlichen und
technischen Errungenschaften der Menschheit, widmet sich seine figurative
Ideenkunst – zumal in seinen hervorragenden Plakaten von einem kritischen
Optimismus geleitet – den Beziehungen von Natur, Mensch und Kultur in
ihren Spiegelungen in Mythos, Geistesgeschichte, Sport und Technik.
Nach den
Erschütterungen des Zweiten Weltkriegs musste einer existenzialistischen
Lebensphilosophie Ernis Hang zur plakativen Allegorie ebenso obsolet
erscheinen wie einer auf eigengesetzliche Autonomie der Kunst
eingeschworenen und nach Neuerungen süchtigen Kunstkritik dessen Verharren
auf figurativer Virtuosität; dieser doppelten Unzeitgemässheit gesellte
sich zudem die ideologische Ablehnung des «kommunistischen» Künstlers
durch das lokale und nationale Bürgertum der Wirtschaftswunderzeit bei.
Auch die seit Anfang der 60er Jahre wachsende Akzeptanz beim breiten
Publikum beziehungsweise bei internationalen Auftraggebern vermochte es
freilich nicht, die anhaltende Verachtung der Kunstkritikerzunft
auszuräumen; im Gegenteil: da Ernis Plakativität der Inhalte und Prägnanz
des künstlerischen Ausdrucks nicht zuletzt durch die Quantität des
Werkausstosses zu leiden begann, sich komplexe humanistische Themen oft
auf Bildungszitate und die Beherrschung der künstlerischen Mittel
zunehmend auf Virtuosität reduzierten, glaubten sich Kunstkritik und
-wissenschaft um so mehr darin bestärkt, sich mit ein paar hämisch
hingeworfenen und immer wiederholten Sentenzen aus der Verantwortung
ziehen zu dürfen. Seit den 40er Jahren hat man sich tatsächlich kaum
ernsthaft mit dem Phänomen Erni befasst – wohl einem der
kunsthistoriografisch wie -soziologisch interessantesten Themen der
Schweizer Kunst im 20. Jahrhundert überhaupt. Für die Tatsache, in keinem
Schweizer Museum angemessen repräsentiert zu sein, konnte sich Erni selbst
dank seines kommerziellen Erfolgs mit der Errichtung seines eigenen
Museums zwar breitenwirksam, aber doch nur vordergründig revanchieren.
Jean-Christophe Ammann, der dem Künstler 1972 und 1976 zwei grosse
Retrospektiven einrichtete, fasste bereits 1972 das Dilemma der
Erni-Rezeption in die noch heute gültigen Worte: «Das Verständnis für das
Werk von Hans Erni steht unter dem unglücklichen Vorzeichen eines
ständigen Vergleichs mit einer Kunst, deren wesentliches Merkmal [...]
darin besteht, sich selbst stets in Frage zu stellen.»
Werkhinweis:
Luzern, Hans
Erni-Museum; Die Schweiz, das Ferienland der Völker, 1939, Wandbild
für die Schweizerische Landesausstellung 1939 in Zürich, Zürich,
Schweizerisches Landesmuseum; Welt der Chemie, 1944, Wandbild,
Basel, Novartis; Fresken, 1954–56, Neuenburg, Ethnographisches Museum;
Zeit, drei Wandbilder für die Weltausstellung in Brüssel 1958, La
Chaux-de-Fonds, Uhrenmuseum; Poseidon, 1969, Aluminium-Relief,
Luzern, Hallenbad; Panta rhei, 1978–79, Luzern, Hans Erni-Museum;
Fluss der Entwicklung, 1991, Wandbild für die Ausstellung
Heureka in Zürich 1991, Luzern, Hans Erni-Museum.
Literatur:
•
John Matheson: Hans Erni gestaltend. Zürich: ABC-Verlag, 1996
•
Jean-Charles Giroud: Hans Erni. Werkverzeichnis der illustrierten
Bücher. Genf: Patrick Cramer, 1996
•
Peter Felder: Die Kunstlandschaft der Innerschweiz. Zusammenspiel von
Landschaft, Geschichte und Kunst. Luzern: Raeber, 1995
•
Stanislaus von Moos: «Hans Erni and the Streamline Decade». In: The
Journal of Decorative and Propaganda Arts, 19, 1993. pp. 120-149
•
Jean-Charles Giroud: Hans Erni. Die Plakate. Les affiches. 1929-1992.
Bern: Benteli, 1993
•
Equilibre. Gleichgewicht, Äquivalenz und Harmonie in der Kunst des
20. Jahrhunderts. Aargauer Kunsthaus Aarau, 1993. Hrsg.: Beat Wismer
[et al.]. Baden: Lars Müller, 1993
•
Erni Lithograph. Werkverzeichnis der Lithographien. [Hrsg.:] Hans
Erni-Stiftung, Katja Pfäffli. Zürich: ABC-Verlag, [1992]
•
Das Plakat in der Schweiz. Mit 376 Kurzbiographien von
Plakatgestalterinnen und Plakatgestaltern. Texte: Willy Rotzler,
Stefan Paradowski, Thomas Bolt. Schaffhausen: Edition Stemmle, 1990
•
Museum zu Allerheiligen Schaffhausen. Katalog der Gemälde und
Skulpturen. [Texte:] Felix Schwank, Max Freivogel, Tina Grütter [et
al.]. Schaffhausen, 1989 (Schweizerisches Institut für
Kunstwissenschaft. Kataloge Schweizer Museen und Sammlungen 13)
•
Oskar Bätschmann: Malerei der Neuzeit. La peinture de l'époque
moderne. La pittura dell'età moderna. La pictura da l'epoca moderna.
[Deutsche, französische, italienische und romanische Parallelausgaben].
Disentis: Desertina, 1989 [italienische Ausgabe: 1990] (Ars Helvetica
VI)
•
Föhnsturm. Die Kulturlandschaft um den Vierwaldstättersee im
Spannungsfeld der zwanziger und dreissiger Jahre. Altdorf,
Höfli-Kaserne, 1985. [Texte:] Karl Iten [et al.]; [Hrsg.:] Danioth-Ring,
Kunst und Kulturverein Uri. Altdorf, 1985
•
Urs Sibler: Einsichten. Innerschweizer Maler, Bildhauer und
Architekten. Gespräche und Bilder aus 90 Ateliers. Hrsg.: GSMBA
Sektion Innerschweiz. Luzern, 1985
•
Das Schweizer Plakat 1900-1984. Gewerbemuseum Basel, 1984. Text:
Hans Hartmann, Rolf Thalmann. Basel, 1984
•
Allianz. Die Geschichte einer Bewegung. Zürich, Arteba Galerie,
1983. Text und Bearbeitung: John Matheson. Zürich, 1983
•
Werbestil 1930-1940. Die alltägliche Bildersprache eines Jahrzehnts.
Kunstgewerbemuseum der Stadt Zürich, 1981; [...]; Kunsthaus Zürich,
1981-82. Konzept und Leitung: Margit Weinberg Staber. Zürich, 1981
•
Dreissiger Jahre Schweiz. Konstruktive Kunst 1915-1945.
Kunstmuseum Winterthur, 1981. Katalog: Rudolf Koella [et al.].
Winterthur, 1981
•
John Matheson: Hans Erni. Das zeichnerische Werk und öffentliche
Arbeiten. Frauenfeld: Huber, [1981]
•
Dreissiger Jahre Schweiz. 1936 - Eine Konfrontation. Aargauer
Kunsthaus Aarau, 1981. [Texte:] Heiny Widmer [et al.]. Aarau, 1981
•
Touristikplakate der Schweiz. Tourism posters of Switzerland.
Affiches touristiques de la Suisse. Manifesti turistici della Svizzera.
1880-1940. [Texte:] Karl Wobmann, Willy Rotzler. Aarau, Stuttgart:
AT Verlag, 1980
•
Walter Rüegg: Hans Erni. Das malerische Werk. Peintures. Paintings.
Bern, München: Erpf, [1979] (Hans Erni 1)
•
Hans Erni: Gedanken und Gedichte. Frauenfeld: Huber, [1978]
•
Hans Erni. Ein Weg zum Nächsten. Das vielschichtige Schaffen aus vier
Jahrzehnten 1936-1976. Pfäffikon, Seedamm-Kulturzentrum, 1976.
Konzept und Bearbeitung: Jean-Christophe Ammann. Luzern: Kunstkreis,
1976. 5 Bde
•
Zeitgenossen sehen Hans Erni. Kunstmuseum Luzern, 1972. [Texte:]
Jean-Christophe Ammann [et al.]. Luzern: Kunstkreis, 1972
•
Konrad Farner: «Absage an Erni». In: Tendenzen, 37, 1966, 7. S.
12-15
•
Erni. Elemente zu einer zukünftigen Malerei. Hrsg.: Frank C.
Thiessing. St. Gallen: Zollikofer, 1948
•
Hans Erni: Wo steht der Maler in der Gegenwart?. [Zürich]:
[Büchergilde Gutenberg], [1947]
•
Konrad Farner: Hans Erni. Ein Maler unserer Zeit. Basel, Zürich:
Mundus, 1945 (Erbe und Gegenwart 48)
•
Hans Erni. Lucerne, Musée des beaux-arts, 1944. [Texte:] Conrad
Farner. Lucerne, 1944
•
Allianz. Vereinigung moderner Schweizer Künstler. Kunsthaus
Zürich, 1942. [Text:] Max Bill. Zürich, 1942
•
Almanach neuer Kunst in der Schweiz. Texte: Max Bill [et al.];
Hrsg.: «Allianz» Vereinigung moderner Schweizer Künstler. Zürich, 1940
•
Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik. Kunsthaus
Zürich, 1936. [Texte:] S. Giedion, M. Bill. Zürich, 1936
Lexika:
Bénézit, Dictionary of
Art, KLS, KVS, LzSK, Vollmer