Schürch, Johannes (Johann) Robert.
*18.11.1895 Aarau,
†14.5.1941 Ascona (TI).
Zeichner, Maler und Grafiker. Veristische und expressionistische
Darstellungen von Randexistenzen der Gesellschaft.
Bis zum Tod des Vaters 1907 mehrmaliger Wohnsitzwechsel zwischen Zürich
und Genf; im gleichen Jahr Tod der beiden Schwestern an Tuberkulose. Die
Mutter zieht mit Robert, der sich später in Anlehnung an Johannes den
Täufer den Vornamen Johannes zulegt, nach Zürich. Schürch beginnt eine
Lehre in einem grafischen Atelier. Schüler des Malers Ernst Otto
Leuenberger in Zollikon. Arbeit als Plakatzeichner. 1914 Aktivdienst. Die
Mutter sendet Zeichnungen Schürchs an Hodler, der ihnen rät, nach Genf zu
ziehen. 1916 für zwei Monate an der Ecole des Beaux-Arts und an der
Privatschule Eugène Gilliards. Schürch wird Hodlers Gehilfe. Lernt den
Unternehmer Kurt Sponagel kennen, der fortan sein Mäzen und wichtigster
Sammler wird; ab 1919 umfangreicher Briefwechsel. Vom Sommer 1920 bis
Herbst 1921 in Choëx oberhalb Montheys im Wallis. Mit einem Stipendium der
Armin-Honegger-Stiftung der Zürcher Kunstgesellschaft von Oktober 1921 bis
in den Frühling 1922 mit der Mutter in Florenz, wo er Max Gubler und Max
Hunziker begegnet; Kopien nach Masaccio und Memling. Die Fülle an Kunst
und das städtische Leben in Florenz verwirren ihn. Zusammen mit der
Mutter, die den Lebensunterhalt der beiden mit journalistischer und
schriftstellerischer Tätigkeit verdient, Rückzug in ein kleines Chalet in
Monti oberhalb Locarnos; für die nächsten zehn Jahre Existenz in grosser
Armut und Isolation. 1932 gibt Schürch das Eremitenleben auf, löst sich
von der Mutter und wohnt in Rebhäuschen in Minusio und Brione.
Freundschaft mit Fritz Pauli und Ignaz Epper. 1934 zieht er nach Ascona
und verkehrt in den Künstlerkreisen im Umfeld des Monte Verità. Ab 1937
wohnt er mit seiner Lebensgefährtin Erica Leutwyler in Ascona. 1939 Tod
der Mutter. Im September wird er zum Hilfsdienst in der Leventina
eingezogen, erkrankt und wird aus dem Dienst entlassen. 1940 verschlimmern
sich seine gesundheitlichen Probleme, die ihn seit einem schweren
Autounfall 1933 plagen. 1941 stirbt Schürch an offener Tuberkulose.
Werkwürdigung:
Der hochtalentierte Zeichner Schürch verarbeitet in der Zeit vor seinem
Aufenthalt in Monti ein breites Spektrum an Vorbildern, von Mantegna,
Rubens und Rembrandt über Puvis de Chavannes, Delacroix, Cézanne und Rodin
bis zu Hodler und den Kubisten. Erst in der freiwilligen Isolation findet
er zu seinem eigenen Stil. In meist kleinformatigen lavierten Feder- und
Tuschpinselzeichnungen sowie Aquarellen und Gouachen notiert er ohne
ästhetische Absicht mit höchster Intensität seine ihn bedrängenden
Gesichte, denen er sich vorbehaltlos ausliefert. Sowohl quantitativ als
auch qualitativ bilden diese «Spontanzeichnungen» (Peter F. Althaus), die
zeit seines Lebens nie ausgestellt worden sind, den Schwerpunkt seines
Werkes. Von Sponagel angekauft und von einem kleinen Publikum rezipiert
wurden einzig detailliert ausgearbeitete Feder- und Bleistiftzeichnungen
sowie Radierungen von Dirnen, Proletariern und Zirkusartisten. Die
Protagonisten seiner pessimistischen Bildwelt erinnern an Figuren
Dostojewskis, Käthe Kollwitz', Toulouse-Lautrecs und Heinrich Zilles und
sind zusammen mit Selbstporträts, Dämonen, weiblichen Akten und
Todesmotiven Ausdruck der Identifikation des Künstlers mit
gesellschaftlichen Aussenseitern und an ihrer Existenz leidenden Menschen.
Schürch hat durch seinen Rückzug aus der Gesellschaft, seine mystische
Veranlagung und seine konsequente Ablehnung jedes künstlerischen
Kompromisses selbst zu seinem Ruf als Outsider beigetragen, der ihm bis
heute anhaftet. Die Zeichnungen und die weniger zahlreichen, düsteren
Ölbilder lassen ihn, der immer wieder zusammen mit Epper und Pauli genannt
wird, als einen verspäteten Expressionisten erscheinen, der veristische
und neusachliche Stilelemente ebenso sicher verarbeitet wie er mit der
Unmittelbarkeit der Surrealisten seine «visionär-grotesken» Bildwelten
gestaltet.
Werkhinweis:
Aargauer Kunsthaus Aarau; Kunstmuseum Winterthur; Kunsthaus Zürich.
Literatur:
• Manuela Kahn-Rossi: Museo Cantonale d'Arte Lugano. Zurigo: Istituto
svizzero di studi d'arte; Ginevra: Banque Paribas, 1994 (Musei Svizzeri)
• Expressiv. Schweizer Kunst des 20. Jahrhunderts aus der Sammlung
Anliker. Kunstmuseum Luzern, 1992. [Texte:] Martin Schwander [et al.].
Luzern, 1992
• Johannes Robert Schürch. 1895-1941. Galleria Matasci Tenero, 1992-93.
[Testo:] Peter F. Althaus. Tenero, 1992
• Ipotesi Helvetia. Un certo Espressionismo. Locarno, Pinacoteca comunale
Casa Rusca; Galleria SPSAS, Palazzo Morettini, Locarno, 1991. A cura di
Pietro Bellasi [et al.]. Genova: Costa & Nolan, 1991
• Peter F. Althaus: Johannes Robert Schürch. Zürich: Limmat Verlag
Genossenschaft, 1991
• Johannes Robert Schürch. Tambour Macabre. Zeichnungen. Nachwort: Theo
Kneubühler. Zürich: Limmat Verlag Genossenschaft, 1990
• Oskar Bätschmann: Malerei der Neuzeit. La peinture de l'époque moderne.
La pittura dell'età moderna. La pictura da l'epoca moderna. [Deutsche,
französische, italienische und romanische Parallelausgaben]. Disentis:
Desertina, 1989 [italienische Ausgabe: 1990] (Ars Helvetica VI)
• Museum zu Allerheiligen Schaffhausen. Katalog der Gemälde und
Skulpturen. [Texte:] Felix Schwank, Max Freivogel, Tina Grütter [et al.].
Schaffhausen, 1989 (Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft.
Kataloge Schweizer Museen und Sammlungen 13)
• Guido Magnaguagno: Johann Robert Schürch. Kunsthaus Zürich, 1986.
Zürich, 1986 (Sammlungsheft 13)
• Suzanne Lüthi-Lindecker: Der Maler Johann Robert Schürch. 1895-1941.
[Typoskript]. Lizentiat Universität Zürich, 1981
• Fritz Billeter: Outside. Streiflichter auf die moderne Schweizer Kunst.
Aargauer Kunsthaus Aarau, 1981. Beiträge: Michel Thévoz und Heiny Widmer.
Zürich: ABC-Verlag, 1980
• Johann Robert Schürch. Retrospektive. Aargauer Kunsthaus Aarau, 1976.
[Texte:] Heiny Widmer [et al.]. Aarau, 1976
• Expressionismus in der Schweiz. 1905-1930. Kunstmuseum Winterthur, 1975.
[Texte:] Rudolf Koella, Erika Erni, Max Huggler. Winterthur, 1975
• Gedächtnisausstellung Johann Robert Schürch. 1895-1941. Kunstmuseum
Luzern, 1966. [Text:] Peter F. Althaus. Luzern, 1966
• Kurt Sponagel: «Johann Robert Schürch als Radierer». In: Das Werk, 40,
1953, 9. S. 301-304
• Johann Robert Schürch. Einführung: Kurt Sponagel. Zürich: Büchergilde
Gutenberg, [1944]
Lexika:
KLS, Vollmer
Schlagwörter:
Aquarell, Malerei, Öl, Zeichnung
Quellen:
Luzern, Erica Ebinger-Leutwyler, Nachlass
Franz Müller
KLS Künstlerlexikon der Schweiz. XX. Jahrhundert. Redaktion: Eduard Plüss,
Hans Christoph von Tavel; Verein zur Herausgabe des schweizerischen
Künstler-Lexikons. Frauenfeld: Huber, 1958-1967. 2 Bände
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Johann Schürch
BIOGRAFIE
ADHIKARA ART
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